Uniformen, Bikinis, Badeshorts: Polizisten am Strand der Copacabana. (Foto: Imago/Kyodo News)
Rio 2016

Hochsicherheitstrakt am Strand

In drei Wochen starten die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Kriminalität, Verkehrschaos, Umweltverschmutzung, Staats- und Wirtschaftskrise - die Liste der Probleme rund um das sportliche Großereignis ist lang. Doch die Veranstalter sind bester Dinge, dass sie mit 88.000 Sicherheitskräften und ein bisschen Improvisation alles gut über die Bühne bringen.

Die Olympischen Spiele von Rio de Janeiro bekommen den Charakter von End-Spielen gleich in mehrfacher Hinsicht. Sportlich, politisch und auch ökonomisch. Wenn nach der Eröffnungszeremonie vom 5. August die Sportschützen die ersten Wettbewerbe austragen, steht die Regierung der derzeit suspendierten Staatspräsidentin Dilma Rousseff zugleich kurz vor dem Finale. Denn nur wenige Tage nach den letzten Medaillen-Vergaben im Basketball und im Boxen am 21. August hat das Parlament in Brasilia die Abstimmung über ihre endgültige Amtsenthebung anberaumt. Wirtschaftlich befindet sich Brasilien ohnehin schon seit längerem im Kampf mit Rezession und Korruption. So prekär wie 2016 war die Lage noch in kaum einem olympischen Austragungsland.

Aber die Verantwortlichen nehmen die Situation sportlich. Mögen auch die Kritiker und Skeptiker von „Rio16“ auf Defizite hinweisen, die Organisatoren versuchen sie mit Erfolgsmeldungen zu übertönen. „Wir haben viele zuvor heruntergekommene Stadtviertel wieder renoviert und attraktiv für Touristen und Einwohner gemacht“, sagt Rios Bürgermeister Eduardo Paes. Nach letzten Inspektionen der 37 Sportstätten in den Stadtbereichen Copacabana, Maracanã, Barra, Deodoro verkündete die Chefin des Koordinationsteams für die Spiele, Nawal El Moutawakel: „Rio 2016 ist bereit, die Welt willkommen zu heißen.“

Teuflische Antwort auf das Hosianna der Organisatoren

Dieser Gruß an Neuankömmlinge fällt in der von Armut und Kriminalität zerfressenen Millionen-Metropole bisweilen jedoch sehr eigentümlich aus. „Willkommen in der Hölle“, mit solchen Plakaten empfingen streikende Polizisten und Feuerwehrleute, die ihre Gehälter teils gar nicht, teils nur in Raten ausgezahlt bekommen, zuletzt Reisende am Flughafen. Zur Illustration der Gefahren spielten sie Szenen von Erschießungen nach. Mag sein, dass hier nur ein paar unzufriedene Beamte den Touristen Angst einjagen wollen. Aber das Thema „Sicherheit“ ist ein schwieriges bei diesen Olympischen Spielen. Der heruntergewirtschaftete Bundesstaat Rio jedenfalls hat seit Monaten Schwierigkeiten, die Sicherheitskräfte, aber auch Belegschaften in Krankenhäusern zu bezahlen. In einem der maroden, unterfinanzierten Hospitale wegen schlechter medizinischer Versorgung zu sterben, sei ein größeres Risiko als dem grassierenden Zika-Virus zum Opfer zu fallen, behaupten manche Ärzte.

Nun ist die Bundesregierung zumindest in Sicherheitsdingen eingesprungen und gibt umgerechnet 23 Millionen Euro zusätzlich aus. Vor allem, indem sie Militär zur Abwehr von Kriminalität und möglichen Terroranschlägen einsetzt. Rund 88.000 Soldaten sollen während der Spiele für Ruhe und Ordnung sorgen. Zum Vergleich: Während der Fußball-Europameisterschaft waren in Frankreich 90.000 Sicherheitskräfte eingesetzt, darunter 72.000 Polizisten und Gendarme. Und bei allen gewalttätigen Zwischenfällen im Vorfeld der Weltmeisterschaft in Brasilien vor zwei Jahren, brachten die Behörden das Großereignis doch mit Anstand über die Bühne.

Rio muss man mit Rio vergleichen.

Eduardo Paes, Bürgermeister

Dennoch ist die Lage in Rio alles andere als beruhigend. Im Mai wurden offiziellen Angaben zufolge 9968 Raubüberfälle angezeigt, 43 Prozent mehr als im April. Im gesamten Bundesstaat kamen zwischen Januar und Mai 2083 Menschen durch Mord und Totschlag ums Leben, knapp 14 Prozent mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Zum Vergleich: Der nach Einwohnerzahl annähernde ähnlich große Freistaat Bayern verzeichnete 370 Tötungsdelikte für das gesamte Jahr 2015. Unter freilich vollkommen anderen sozialen Verhältnissen. Rios Bürgermeister Paes mahnt, man dürfe seine Stadt nicht mit vergleichsweise sicheren Städten wie Zürich oder New York vergleichen: „Rio muss man mit Rio vergleichen.“

Doch selbst unter dieser Prämisse steht die Stadt nicht gut da. Drogengangs dominieren von den bevölkerungsreichen Favelas aus das Stadtgeschehen, obwohl spezielle Polizeieinheiten sie seit Monaten in den Griff kriegen sollen. Überfälle sind in Rio an der Tagesordnung, oft mit tödlichem Ausgang. Weltweit Schlagzeilen verursachte der Fall der brasilianischen Sportschützin Anna Paula Cotta, die bei Olympia antreten wollte. Die 27-Jährige hatte in Interviews häufig auf die wackelige Sicherheitslage in Rio hingewiesen. Anfang Juni war sie mit dem Auto auf einer Stadtautobahn unterwegs, als Straßenräuber sie zu stoppen versuchten. Die junge Frau stieg aufs Gas, doch einer von sechs Schüssen auf ihr Auto traf sie im Kopf. Cotta überlebte nur knapp dank einer Notoperation.

Droht der Verkehrskollaps?

Die Verkehrswege werden bei den diesjährigen Spielen neuralgisch sein. Einige Verbindungsstraßen zu den Sportstätten werden bis zum Beginn von Olympia nicht fertiggestellt. Ebensowenig die neue U-Bahnlinie nach Barra da Tijuca, wo 56 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums das Olympische Dorf und der Olympiapark liegen. Mit umgerechnet 2,5 Milliarden Euro wurde sie zwar doppelt so teuer wie geplant. Dafür wird Berichten zufolge zum Start der Spiele noch kein Zug fahren können. Wie Hunderttausende Besucher, die Sportler und ihre Teams sich in dem chaotischen Verkehrsgewirr der Riesenstadt bewegen, wird die Praxis zeigen müssen. Improvisation sei eine eingeübte Kulturtechnik in Brasilien, ermuntern die Einheimischen die Welt.

Müll, Tierkadaver, Fäkalien schwimmen um die olympischen Segelboote

Wenig ermutigend freilich bleibt die Wasserqualität in der Guanabara-Bucht, wo die Segelwettbewerbe stattfinden. Sie dient Containerschiffen als Zufahrt zum Hafen, von überall her werden Abwässer in das Binnengewässer nördlich von Rio eingeleitet. In den Wellen treiben Müll, Tierkadaver, Fäkalien, Ölklumpen. Kein Carioca, wie sich die Bewohner der Stadt nennen, würde freiwillig hier baden. Denn sogar gegen Antibiotika resistente Superkeime wurden in der Bucht bereits festgestellt. Aber die Olympia-Veranstalter beteuern, für die Sportler auf den Booten bestehe kein Risiko.

Bei allen Problemen hoffen sie auf einen reibungslosen Ablauf der Spiele. 206 Nationen entsenden Athleten, so viele wie noch nie. In 42 Disziplinen treten mehr als 10.000 Olympioniken gegeneinander an. Deutschland schickt 451 Sportler an den Pão de Açucar (Zuckerhut). Der Regierung des Interims-Staatschefs Michel Temer, gegen den ebenfalls Ermittlungen laufen und der die suspendierte Präsidentin Rousseff als ihr vormaliger Vize derzeit ersetzt, dürften die Olympischen Spiele gelegen kommen, um die innenpolitische Aufregung ein wenig hinter dem internationalen Sport-Spektakel zu verbergen. Doch nachdem die letzten Medaillen verteilt sind, bleiben den Machern in Brasilia nur noch ein paar Tage bis zum Finale um die Macht im Staat. Amtsenthebung für Rousseff, womöglich Neuwahlen, dazu die fortdauernde Wirtschaftskrise, welche die Arbeitslosenquote auf den Rekordwert von 11,2 Prozent getrieben hat – nach den Spielen ist vor dem Endspiel.