Der europäische "Moloch"? Das Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission in Brüssel. (Foto: Imago/Winfried Rothermel)
CETA

Nichts dazu gelernt

Kurz nach dem Brexit-Referendum hat die EU-Kommission eine hoch umstrittene Entscheidung gefällt: Die Parlamente der europäischen Staaten sollen nach dem Willen der Brüsseler Behörde nicht an der Entscheidung über das ausgehandelte Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) beteiligt werden. Die EU zeigt damit, warum sich so viele nicht mehr von ihr mitgenommen fühlen.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker teilte diese Entscheidung beim Brüsseler Gipfel den 28 Staats- und Regierungschefs mit, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Juncker sagte danach, die Bestimmungen des Abkommens fielen allein in EU-Kompetenz. Mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland, hatten sich zuletzt dagegen ausgesprochen, CETA als reines EU-Abkommen einzustufen und nach dem normalen EU-Gesetzgebungsverfahren zu behandeln. Denn das würde dazu führen, dass an der Ratifizierung zwar das EU-Parlament beteiligt würde, dass nationale Parlamente wie der Bundestag aber nicht abstimmen könnten.

Ich werde nicht auf dem Altar juristischer Fragen sterben, aber ich hätte gern durch eindeutige Rechtsmittel belegt, dass dies kein EU-Abkommen ist.

Jean-Claude Juncker, nach der Kritik an seiner Entscheidung

Beim Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada ist es rechtlich umstritten, ob das Abkommen nur dem Europäischen Parlament oder auch den Parlamenten der Mitgliedstaaten zur Abstimmung vorgelegt werden muss. Entsprechendes gilt beim Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA. Während die EU-Kommission eine Mitentscheidung der nationalen Parlamente verneint, wird sie von den meisten Mitgliedstaaten für erforderlich gehalten.

Bayerns Justizminister Winfried Bausback hat auf Facebook eine klare Meinung dazu:

CETA ist ein gemischtes Abkommen, deshalb haben die nationalen Parlamente das Recht und die Pflicht darüber mitzuentscheiden. Warum die Kommission dies gerade jetzt in einer Krise Europas bestreit, ist nicht nachvollziehbar.

Ministerpräsident Horst Seehofer kritisierte am Mittwoch Junckers Veto als „unverantwortlich“. Er betonte: „Das geht auf keinen Fall.“

„Ohne Zustimmung von Bundestag und Bundesrat kann es deshalb kein Ja aus Deutschland geben“, teilte auch SPD-Chef Sigmar Gabriel in Berlin mit. „Wenn die EU-Kommission das bei CETA macht, ist TTIP tot“, sagte er weiter.

Unverzichtbar oder Blockadeinstrument?

In Berlin wird dies wegen der kritischen Öffentlichkeit in Deutschland für unverzichtbar gehalten. In Brüssel besteht jedoch seit längerem die Sorge, dass Parlamente einzelner Staaten die Weiterentwicklung der europäischen Handelspolitik blockieren und Europa damit handlungsunfähig machen könnten. Im normalen EU-Gesetzgebungsverfahren stimmen über die Vorschläge der Kommission die Mitgliedstaaten im Europäischen Rat und das Europaparlament ab. Die Vorstellung, dass nur nationale Parlamente demokratische Kontrolle gewährten, schwäche die Grundidee der EU, sagte Juncker nach den dpa-Informationen weiter. Bei Ceta handele es sich wohl um das beste Handelsabkommen, das Europa jemals vereinbart habe. Ganz falsch ist das nicht: Gibt man das Abkommen an die nationalen Parlamente, entwertet man zugleich das EU-Parlament und unterstellt ihm, keine demokratische Kontrolle von EU-Gesetzen ausüben zu können.

Die Zukunft des bereits ausgehandelten Abkommens ist damit offen. Die EU-Staaten könnten nun einstimmig festlegen, dass sie der Meinung der Kommission nicht folgen wollen. Es ist denkbar, dass die Verabschiedung des Abkommens auf unbestimmte Zeit blockiert wird. Ceta gilt als Blaupause für das Mega-Abkommen TTIP mit den USA. Beide Verträge sollen für mehr Wachstum im Handel mit Nordamerika sorgen. Umwelt- und Verbraucherschützer fürchten dagegen eine Senkung von Standards.

Kritik aus Bayern

Bayerns Europaministerin Beate Merk kritisierte scharf die Entscheidung der EU-Kommission gegen eine Beteiligung nationaler Parlamente beim Freihandelsabkommen CETA: „Die Entscheidung der EU-Kommission ist grundfalsch und in der aktuellen schwierigen Situation der EU ein verheerendes Signal. Die Kommission hat ganz offenbar aus dem Brexit-Referendum in Großbritannien nichts gelernt.“

Die Entscheidung der EU-Kommission ist grundfalsch und in der aktuellen schwierigen Situation der EU ein verheerendes Signal.

Beate Merk

Aus diesem Referendum müsse man doch die richtigen Schlüsse ziehen. Und das heiße: Mehr Transparenz, mehr Demokratie und mehr Rückkopplung Brüsseler Entscheidungen an die Mitgliedstaaten. „Beim CETA-Abkommen läuft die Kommission jetzt in die völlig falsche Richtung. Ich fordere eine Korrektur dieser Entscheidung und ein echtes Mitspracherecht der nationalen Parlamente. Nur so schaffen wir es, dass Europa wieder mehr Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern findet“, so Merk weiter. „Bei dieser Sachlage muss die Devise doch lauten: Im Zweifel ‚Ja‘ zu mehr Demokratie und damit einer Beteiligung der nationalen Parlamente. Mit ihrer Haltung bestärkt die EU-Kommission einmal mehr die Sorge vor Brüsseler Alleingängen.“

Und der JU-Chef und Landtagsabgeordnete Hans Reichhart sagte auf Facebook:

Da sag nochmals einer, Europa habe die Botschaft des ‪#‎Brexit‬ gehört. Genau so macht man Europa kaputt.

CETA und TTIP Thema beim EU-Gipfel

Mit Blick auf den Brexit hält die EU an den angestrebten Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA fest. Alle 28 Regierungen inklusive der britischen seien sich darüber einig gewesen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zudem will Merkel den Bundestag in den CETA-Prozess einbeziehen. „Wir werden den Bundestag um Meinungsbildung bitten“, sagte sie. Es gebe gute Gründe, die nationalen Parlamente damit zu befassen. Zuvor war bekannt geworden, dass die EU-Kommission die Parlamente der europäischen Staaten nicht an der Entscheidung über das Abkommen beteiligen will. An der Ratifizierung wäre dann nur das EU-Parlament beteiligt. Dazu sagte Merkel, die Kommission habe zunächst nur ihre Rechtsauffassung dargelegt. Das sei kein Grund, sie dafür „an den Pranger zu stellen“.

Merkel machte allerdings auch klar, dass Brüssel mit ihrer Auffassung auf Kollisionskurs zu den meisten EU-Regierungen geht, die zwar das Abkommen begrüßen, aber auf eine nationale Zustimmung bestehen. Juncker räumte ein, dass eine Behandlung auch durch die nationalen Parlamente erwogen werden müsse. Eine Mehrheit der Mitgliedstaaten sei dieser Auffassung.

Auch der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament, Bernd Lange (SPD), warnte die Kommission vor einem Alleingang. „Eine breite Beteiligung der Parlamente in den EU-Staaten an Ceta ist unumgänglich.“ Ansonsten werde es Ceta nicht geben. So hätten die nationalen Parlamente der 28 EU-Staaten dem weit weniger umfangreichen EU-Handelsvertrag mit Südkorea zustimmen müssen.

Klagen gegen CETA

3005 Verbraucherschützer wollen mit einer Verfassungsbeschwerde erneut versuchen, das fertig ausgehandelte EU-Handelsabkommen CETA mit Kanada noch zu stoppen. Die Organisationen Campact, Foodwatch und Mehr Demokratie stellten ihre geplante Klageschrift nun in Berlin vor. Zudem beteiligen sich knapp 70.000 Bürger an einer ähnlichen Beschwerde. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch bereits mehr als 100 ähnliche Klagen als unzulässig abgewiesen. CETA gilt als Blaupause für das umstrittene TTIP-Freihandelsabkommen mit den USA.

CETA

sieht laut EU-Kommission die Abschaffung von rund 99 Prozent aller Zölle der EU und Kanada vor. Dies würde dies allein für die EU-Ausfuhr bei Industrieerzeugnissen zu Einsparungen von jährlich etwa 470 Millionen Euro führen. CETA gilt als Blaupause für das Mega-Abkommen TTIP mit den USA.