Der russische Sport steht nach vielen Dopingfällen im Zwielicht: Einmarsch der russischen Sportler bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele in London 2012. (Bild: Imago/UPI Photo)
Russlands Doping

Signal an die Sportwelt

Die olympischen Spitzenfunktionäre werden unter der Leitung von IOC-Präsident Thomas Bach in Lausanne über weitere Maßnahmen im Anti-Doping-Kampf und Konsequenzen nach den Betrugs-Skandalen vor allem in Russland beraten. Es droht der Ausschluss aller russischen Sportler von Olympia, nachdem schon die Leichtathleten wegen des systematischen Dopings in Putins Reich gesperrt worden sind.

Knapp 50 Tage vor den Spielen in Rio de Janeiro wird bei dem sogenannten Summit des Internationalen Olympischen Komitees in Lausanne über den Konflikt zwischen kollektiven Strafen für Länder und den individuellen Rechten von Athleten bei der Zulassung zu den Rio-Spielen gesprochen. Nach der Verlängerung der Suspendierung der russischen Leichtathleten wegen massivem Doping und dem damit verbundenen Olympia-Aus durch den Leichtathletik-Weltverband IAAF muss Russland einen kompletten Ausschluss von dem Sportspektakel in Brasilien fürchten. Inzwischen sind auch Vorwürfe zu Doping-Vergehen bei Russlands Schwimmern laut geworden. Außerdem untersucht die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA Anschuldigungen, ob im Kontrolllabor bei den Winterspielen 2014 in Sotschi tatsächlich positive Proben von russischen Sportlern ausgetauscht und vertuscht wurden. Der frühere WADA-Präsident Richard Pound hält einen Ausschluss der Sportmacht für denkbar, nennt ihn aber eine „nukleare Option“. IOC-Präsident Thomas Bach gilt als Freund des russischen Autokraten Wladimir Putin.

Mit Hintertürchen

Gesprächsthema wird beim IOC-Gipfel auch sein, ob Athleten, die nicht nur auf Grundlage von mehreren negativen Kontrollen nachweisen können, sauber zu sein, unter der Olympischen Flagge starten dürfen. Ein entsprechende Hintertür für russische Leichtathleten war in der IAAF-Entscheidung enthalten. Die Sportler müssen nachweisen, über Monate nicht in das Dopingsystem eingebunden gewesen zu sein. „Die IAAF hat einen interessanten Präzedenzfall geschaffen“, sagte dazu der neue WADA-Generaldirektor Olivier Niggli. Kenia, Weißrussland, Äthiopien, Marokko und die Ukraine wurden wegen Verweigerung des Anti-Doping-Kampfs von der IAAF verwarnt.

Das IOC kündigte nach dem IAAF-Urteil „weitere weitreichende Maßnahmen“ an, um die Chancengleichheit bei den Rio-Spielen zu gewährleisten. Anfang Juni hatte das Exekutivkomitee des IOC im Kampf gegen den Sportbetrug einen Fünf-Punkte-Plan verabschiedet, der auch eine Verdopplung des Etats von 250.000 auf 500.000 Dollar für Kontrollen außerhalb von Wettkämpfen beinhaltete. Auch das dürfte jedoch nicht annähernd ausreichen.

Auch andere Sportarten und Länder vor dem Olympia-Aus

Möglicherweise kommen aber noch andere Sportarten und Länder in die Bredouille. Auch Kenia, Mexiko und Spanien, deren Anti-Doping-Systeme von der Welt-Anti-Doping-Agentur als nicht regelkonform erklärt wurden, droht eine Nichtteilnahme in Brasilien. Ein weiteres Beispiel steht bereits im Gewichtheben fest: Bei den Nachtests der Spiele 2008 in Peking und 2012 in London waren unter den insgesamt 55 positiven Proben allein 20 von Gewichthebern. Der Weltverband IWF selbst hat daher die Bulgaren komplett von Olympia in Rio verbannt.

Einspruch gegen die Sperre

Russlands Leichtathleten wollen gegen die Sperre bei den Olympischen Spielen juristisch vorgehen und Einspruch beim Internationalen Sportgerichtshof (CAS) einlegen. Der Einspruch werde im Namen aller Athleten eingereicht, „die noch nie gegen die Anti-Doping-Regeln verstoßen haben“, sagte der Chef des russischen Olympia-Komitees, Alexander Schukow. Der russische Leichtathletikverband werde die Interessen und Rechte aller Athleten schützen, die unschuldig seien und keine verbotenen Substanzen eingenommen hätten, sagte Schukow. Er hoffe, dass das Sportgericht eine objektive, faire und gerechte Entscheidung treffe. Im Fall der bulgarischen Gewichtheber hatte das CAS die Entscheidung der IWF allerdings bestätigt. Warum es jetzt von diesem Kurs abweichen sollte, ist nicht ersichtlich.

Die russischen „Wahrheiten“

Das russische Parlament hat das drohende Startverbot für alle russische Sportler bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro als Verstoß gegen die Menschenrechte verurteilt. Eine solche Entscheidung würde Streit und Misstrauen säen, kritisierte die Staatsduma in einer Erklärung in Moskau. Das Parlament hoffe auf eine objektive Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), meldete die Agentur Interfax. Die Duma verurteilte ausdrücklich jede Form von Doping. „Doch Repressionen gegen jene Sportler, die niemals eines unsauberen Spiels überführt wurden, sind nicht nur ungerecht, sondern auch ein Verstoß gegen die Prinzipien der Olympischen Bewegung.“ Interessant: Ein Land, das ganz nebenbei mit kriegerischen Handlungen in der Ukraine gegen Völkerrecht verstößt, beruft sich nun auf Prinzipien der Olympischen Bewegung. Zugleich sprachen sich die Parlamentarier auch gegen eine Vermischung von Sport und Politik aus – damit sollten sie allerdings im eigenen Land beginnen. Die Führung in Moskau sieht das Vorgehen der Sport-Institutionen gegen Russland im Doping-Skandal wie üblich als politische Kampagne.

Die Tricks der Doper

Die ARD-Dokumentationen „Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht“ und dessen Fortsetzung „Showdown um Russland“ hatten allerdings mehr als 200 wegen Dopings ertappte russische Sportler der letzten Jahre sowie zahlreiche Tricks enthüllt, mit denen die Dopingtests umgangen oder positive Tests vertuscht werden. So hätten zum Beispiel Athleten als Aufenthaltsort oft militärische Einrichtungen angegeben, zu denen man aber nur mit einer Sondergenehmigung den Zutritt erhält. Zudem überführte die zweite Doku nach eigenen Angaben den russischen Sportminister Witali Mutko mehrfach der Lüge.

Auch die WADA erhob in einem neuen Bericht erneut schwere Vorwürfe. So seien Dopingkontrolleure in Russland von Athleten behindert und von Beamten des russischen Geheimdienstes FSB eingeschüchtert worden. Außerdem seien Pakete mit Dopingproben vom russischen Zoll manipuliert worden. Obendrein hätten Athleten falsche Angaben über ihren Aufenthaltsort gemacht und versucht, Dopingtests bei Wettbewerben zu umgehen. In dem 323-seitigen Report lieferte die WADA die Beweise für den großen Betrug nach. In einem Fall habe eine Leichtathletin versucht, eine gefälschte Urinprobe abzugeben mit einem „im Körper eingeführten Behälter“. Als sie ertappt wurde, soll sie auch noch versucht haben, den Kontrolleur zu bestechen. Sie wurde schließlich positiv getestet. Eine weitere Athletin habe während ihres Rennens das Stadion verlassen, um der Kontrolle zu entgehen. Auch habe die WADA Informationen erhalten, dass bei einer russischen Ringer-Meisterschaft Athleten ein „Labor mit Zentrifugen und anderen Analysegeräten“ betrieben hätten.

Immer wieder positiv getestet.

Selten verging in den vergangenen Monaten ein Tag ohne Doping-Nachrichten aus Russland. Ob beim verbotenen Meldonium, das auch die Spitzentennisspielerin Maria Scharapowa verwendete, den bereits genannten Nachtests der Sommerspiele 2008 und 2012 oder der WADA-Statistik der Doping-Fälle 2014: Russlands Athleten wurden immer wieder positiv getestet. Verantwortlich für den gigantischen Sportbetrug sind nach bisherigen Erkenntnissen das russische Sportministerium, das Nationale Olympischen Komitee Russlands ROC, die angebliche Anti-Doping-Agentur Rusada und der Geheimdienst FSB.

Außerdem läuft eine Untersuchung der WADA zum schweren Vorwurf, Winterspiele-Gastgeber Russland habe im Kontrolllabor von Sotschi 2014 mit Hilfe des Geheimdienstes FSB positive Proben eigener Athleten verschwinden lassen, darunter von mindestens fünfzehn russischen Medaillengewinnern. Diese Vorwürfe beruhen auf Aussagen des langjährigen russischen Dopinglaborchefs Grigori Rodschenkow, der in die USA geflohen ist. Die Suspendierung der Rusada und des Moskauer Kontrolllabors durch die WADA waren nur eine Folge davon.

Athleten wollen den Ausschluss von Russland

Die Athletensprecher des IOC, die Deutsche Claudia Bokel, Vorsitzende der IOC-Athletenkommission, und die Kanadierin Beckie Scott, Vorsitzende des WADA-Athletenkomitees, haben sich schon im Mai schriftlich an die Präsidenten von IOC und WADA gewandt und im Namen von tausenden Sportlern eine lückenlose Aufklärung und energische Sanktionen gefordert. „Unser Vertrauen ist erschüttert“, so steht es in dem Papier. Die bisherigen Vorgehensweisen des IOC und der WADA im Anti-Doping-Kampf hätten sich als „unzureichend“ erwiesen. Hunderte saubere Athleten hätten sich gemeldet und gefordert, dass mehr getan werden müsse, um einen sauberen Sport zu garantieren, so Bokel und Scott in ihrem Brief. Ein ähnliches Schreiben haben zuletzt fast 600 olympische und paralympische Athleten aus Großbritannien an die WADA geschickt. Diese Briefe hat offenbar sogar bei den hartgesottenen olympischen Funktionären Wirkung hinterlassen.

Die Beweise sind erdrückend und erschrecken.

Martina Strutz, DLV-Athletensprecherin

„Ich bin für einen Ausschluss“, sagte auch Martina Strutz, Athletensprecherin des deutschen Verbandes DLV. „Irgendwann muss eine Entscheidung getroffen werden. Die Beweise sind erdrückend und erschrecken.“ Auch DLV-Präsident Clemens Prokop ist für den Bann als Zeichen der Glaubwürdigkeit: „Wenn die Maxime weiter so wäre, würde der Sport an sich und die Olympischen Spiele ihren Sinn verlieren.“

Es hat sich nichts geändert, wie man sehen konnte.

Arne Gabius, Marathonläufer

Die russische Regierung und vor allem Sportminister Mutko versuchten alles, um den Olympia-Bann zu verhindern. „Wir haben alles getan, damit die Sperre aufgehoben wird“, so der heftig kritisierte Mutko. Es wurde akzeptiert, dass die Briten die Doping-Tests von Russlands Athleten übernahmen und dass der Experte Peter Nicholson im Auftrag der WADA den Wiederaufbau des Anti-Doping-Systems im Land überwachen darf. Außerdem seien Trainer und Funktionäre gesperrt, ausgetauscht oder gefeuert worden. Die vor einer Woche ausgestrahlte neue ARD-Doku „Showdown um Russland“ nährte aber starke Zweifel, ob wirklich keiner dieser Trainer mehr mit Athleten zu tun hat. „Es hat sich nichts geändert, wie man sehen konnte“, meinte daraufhin Deutschlands bester Marathonläufer, Arne Gabius.

Keine Lippenbekenntnisse mehr

Bis zum 15. Juli will die WADA die Ergebnisse der Ermittlungen dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) präsentieren. Die Sommerspiele in Rio beginnen am 5. August. Sollten sich die massiven Vorwürfe erhärten, muss auch das IOC – wie zuvor die IAAF – zwischen Kollektivstrafe und dem individuellen Recht sauberer Athleten abwägen. Die Vorsitzende des Sportausschusses des Bundestages hält zwar einen Komplettausschluss für schwierig, jedoch für opportun, weil Russland über kein Kontrollsystem verfüge, „das seinen Namen verdient. Im Gegenteil“, argumentiert Dagmar Freitag, die auch DLV-Vizepräsidentin ist. Ein Ausschluss der russischen Leichtathleten wäre für sie ein Signal in die Sportwelt und vor allem an die IAAF-Mitglieder, dass „wir über die Zeit der Lippenbekenntnisse hinaus sind“.

Jetzt Leichtathleten im Schnellverfahren noch zu kontrollieren, bringt nichts. Die Hochdopingphase ist längst vorbei.

Lars Mortsiefer, NADA

Auch für die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) ist ein Start russischer Läufer, Springer und Werfer bei den Rio-Spielen kein Thema. NADA-Vorstand Lars Mortsiefer warnte die IAAF, Russland noch ein Schlupfloch zu schaffen und Sportler für Olympia zuzulassen, die mindestens drei Zielkontrollen nachweisen können. „Jetzt Leichtathleten im Schnellverfahren noch zu kontrollieren, bringt nichts“, sagte Mortsiefer. „Die Hochdopingphase ist längst vorbei.“

(dpa/ARD/avd)