„Das darf sich nicht wiederholen“
Österreich ist entschlossen, in der Migrantenpolitik die EU zur Vernunft zu zwingen. Das ist die Kernaussage zweier bemerkenswerter Interviews von Außenminister Sebastian Kurz. Illegale Migranten sollen grundsätzlich jeden Anspruch auf Asyl verwirken und sofort zurückgeführt werden. Die unbeschränkte Aufnahme von Flüchtlingen darf sich nicht wiederholen – sonst schließt Wien die Brennergrenze.
Migrantenkrise

„Das darf sich nicht wiederholen“

Österreich ist entschlossen, in der Migrantenpolitik die EU zur Vernunft zu zwingen. Das ist die Kernaussage zweier bemerkenswerter Interviews von Außenminister Sebastian Kurz. Illegale Migranten sollen grundsätzlich jeden Anspruch auf Asyl verwirken und sofort zurückgeführt werden. Die unbeschränkte Aufnahme von Flüchtlingen darf sich nicht wiederholen – sonst schließt Wien die Brennergrenze.

In der großen Migrantenkrise braucht die EU Druck, brauchen die Länder an den EU- und Schengen-Außengrenzen Druck, empfindlichen Druck. Aus dem Grund ist Österreich so wichtig geworden: Wien hat die Balkanroute abriegeln lassen. Das hat für den Druck gesorgt, der dann Brüssel, Athen und Berlin genötigt hat, endlich Vernunft anzunehmen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um dem Migranten-Ansturm entgegenzuwirken. Die Bayern – und andere – haben Grund, sich bei Wien zu bedanken.

Ich will die illegalen Migrationsrouten nach Europa stoppen.

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz

Eine entscheidende Rolle bei der Wende zum Guten und Vernünftigen hat dabei Österreichs junger Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) gespielt. Wenn er etwas zum großen Völkerwanderungsthema Thema sagt, sollte man es darum ernst nehmen. Kurz meint, was er sagt. Wörtlich. Und zögert nicht, Taten und Druck folgen zu lassen. Dank ihrer zentralen Lage in Europa können sich die Österreicher keine Migrationsunvernunft leisten: Das kleine, reiche Österreich wird sofort zum ersten Ziel und Opfer. Die gleiche zentrale geographische Lage gibt Wien aber eben auch die Möglichkeit, in Sachen Migration empfindlichen Druck auf die Nachbarn auszuüben: Entweder ihr werdet vernünftig, oder …. (wir machen dicht).

Wiens Druck zur Vernunft

Umso erstaunlicher, dass Sebastian Kurz an einem Tag nicht nur eines, sondern zwei sehr ausführliche Interviews gibt – in der Wiener Wochenzeitung Die Presse am Sonntag und im Sonntagsblatt der Neuen Zürcher Zeitung, der NZZ am Sonntag –, aber offenbar kaum jemand sie sorgfältig genug liest. Kurz wolle nach der Balkanroute auch die Mittelmeeroute schließen und dabei auf australische Methoden zurückgreifen, heißt es überall nur, meist mit Empörung in der Stimme. Aber spätestens im Interview mit der NZZ – das kaum ein Kommentator zitiert oder nennt – wird klar, dass Kurz hier nicht nur Vorschläge macht, sondern in bewährter österreichischer Manier massiven Druck zur Vernunft ausübt. Wien, sagt Kurz mehrfach sehr deutlich, ist entschlossen, nicht noch einmal eine Situation entstehen zu lassen wie im vergangen Jahr: „Die falsche Reaktion auf die Flüchtlingskrise, nämlich die Willkommenskultur und die unbeschränkte Aufnahme von Menschen darf sich nicht wiederholen.“ Kurz weiter: „Wir müssen die Flüchtlingskrise lösen, nicht wir allein in Österreich, sondern ganz Europa. 90.000 Asylanträge wie im letzten Jahr, das darf sich nicht wiederholen.“

Die unbeschränkte Aufnahme von Flüchtlingen in Europa ist kein nachhaltiges Modell. Das hat das letzte Jahr gezeigt. Es hat dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen auf den Weg gemacht haben und die Probleme immer größer geworden sind.

Sebastian Kurz

Und schließlich an die Adresse Berlins: „Die unbeschränkte Aufnahme von Flüchtlingen in Europa ist kein nachhaltiges Modell. Das hat das letzte Jahr gezeigt. Es hat dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen auf den Weg gemacht haben und die Probleme immer größer geworden sind.“ Dazu der interessante Hinweis von Kurz in der Wiener Presse am Sonntag: Die Völkerwanderung über die Balkanroute vom vergangenen Jahr ist allen Ernstes von Brüssel mitfinanziert worden. Kurz: „Die Fähren von Lesbos nach Thessaloniki, dem nächst gelegenen Hafen zur mazedonischen Grenze, sind sogar mit EU-Geldern gefördert, die Busse und Züge, mit denen die Migranten nach Mitteleuropa fuhren, von europäischen Steuerzahlern finanziert worden.“ Es war europäische Politik, sagt Kurz, „Menschen bestmöglich nach Deutschland weiter zu transportieren“. Oder eben nach Österreich.

Wiens Drohung: Grenzkontrollen am Brenner

„Das darf sich nicht wiederholen“ – das ist darum die allzu verständliche Kernbotschaft des Außenministers. Und Kurz baut Druck auf, um allen EU-Kollegen klar zu machen, dass Wien wirklich entschlossen ist, jede Wiederholung zu unterbinden. Denn seine Interviews enthalten neben Vorschlägen eben auch eine klare Drohung: Schließung der Brennergrenze. Alle Vorbereitungen dafür hat Wien längst getroffen. Von der NZZ direkt auf den Brenner angesprochen, wird Kurz sehr klar: „Es ist nicht unser Ziel, Grenzkontrollen einzuführen, aber jeder muss verstehen, dass Österreich sicherstellen muss, dass es nicht überfordert wird. Solange wir als Europa es nicht schaffen, eine ordentliche Flüchtlingspolitik auf die Beine zu stellen, müssen wir in Österreich nationale Maßnahmen ergreifen, um diese Überforderung zu verhindern. Im Notfall sind das Grenzkontrollen, weil aus Italien zu viele illegale Migranten zu uns kommen wollen.“

Kurz weiß und fürchtet, was viele seiner EU-Kollegen sich nicht sehen wollen: In Libyen warten Hunderttausende afrikanische Migranten auf die Gelegenheit zum Übersetzen nach Europa, südlich der Sahara Dutzende von Millionen.

Im Klartext, falls der noch notwendig wäre, gibt Kurz den europäischen Regierungen damit zu verstehen: Entweder ihr nehmt jetzt Vernunft an und helft mit, die Mittelmeerroute zu verschließen – oder wir machen den Brenner dicht. Nach der Erfahrung an der Balkanroute wären Brüssel, Rom und etwa Berlin gut beraten, die Drohung wörtlich zu nehmen. Wien sieht keine Alternative. Kurz weiß, was viele seiner EU-Kollegen nicht sehen wollen: In Libyen warten Hunderttausende afrikanische Migranten auf die Gelegenheit zum Übersetzen nach Europa, südlich der Sahara Dutzende von Millionen – und es werden immer mehr.

Wiens Vorschlag: Das australische Modell

Zur Drohung fügt Kurz in seinen beiden Interviews sehr konkrete Vorschläge an. Alle zielen darauf, die Mittelmeerroute von Libyen, Tunesien oder Ägypten nach Italien zu verstopfen und die afrikanische Völkerwanderung zu beenden, bevor sie richtig beginnen kann. Kurz zur Presse am Sonntag: „Ich will die illegalen Migrationsrouten nach Europa stoppen.“ Der EU empfiehlt er, dazu Teile des australischen Modells zur Abwehr von illegaler Massenzuwanderung über See zu übernehmen: Seit zwei Jahren fängt die australische Marine Bootsflüchtlinge konsequent ab, bringt sie entweder zurück in die Herkunftsländer oder in Zentren auf die Inseln Nauru und Papua-Neuguinea, mit denen Canberra darüber Verträge geschlossen hat. Die Folge ist ein Abschreckungseffekt, der schon Tausende Leben gerettet hat: Weil keine Boote mehr kommen, ertrinken auch keine Flüchtlinge mehr.

Die EU sollte klar festlegen: Wer illegal versucht, nach Europa durchzukommen, soll seinen Anspruch auf Asyl in Europa verwirken.

Sebastian Kurz

Die EU kann das australische Modell nicht eins zu eins übernehmen, weiß auch Kurz, aber drei Grundgedanken schon: „Die EU sollte klar festlegen: Wer illegal versucht, nach Europa durchzukommen, soll seinen Anspruch auf Asyl in Europa verwirken. Zweitens müssen wir sicherstellen, dass die Rettung aus Seenot nicht mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden ist. Drittens müssen wir bedeutend mehr Hilfe vor Ort leisten und gleichzeitig die freiwillige Aufnahme der Ärmsten der Armen durch Resettlement-Programme forcieren. So können wir die Einwanderung auf ein bewältigbares Maß begrenzen und diese Menschen auch integrieren.“

Die Willkommenskultur war ein Turbo für die Schlepper. Mehr und mehr Menschen haben sich auf eine gefährliche Reise begeben.

Sebastian Kurz

„Ich bin dafür, dass wir weiterhin Menschen in Österreich oder Europa aufnehmen“, sagt Kurz auch. Aber mit der Willkommenskultur müsse Schluss sein, warnt er, schon um der reinen Menschlichkeit willen. Denn die europäische Politik des letzten Jahres habe das Sterben im Mittelmeer „begünstigt“: „Die Willkommenskultur war ein Turbo für die Schlepper. Mehr und mehr Menschen haben sich auf eine gefährliche Reise begeben. Eine konsequente Flüchtlingspolitik wird die Zahl der Flüchtlinge reduzieren. Den Schleppern wird die Geschäftsgrundlage entzogen, und wir verhindern, dass Menschen ertrinken.“

Die Boote schon in libyschen Küstengewässern stoppen

Das Mittelmeer ist nicht der Südpazifik, und Mittelmeerinseln kann man nicht mit Papua-Neuguinea vergleichen, das mit 463.000 Quadratkilometern Fläche größer ist als Deutschland. Aber auch Europa kann seine Seegrenzen nutzen, um sich zu schützen, rät Kurz: Migranten, die aus dem Mittelmeer gefischt werden, „müssen im Idealfall sofort in ihr Herkunftsland zurückgebracht werden“. Mit Libyen müssten Vereinbarungen getroffen werden, die es möglich machen, Schlepper schon vor der libyschen Küste abzufangen: „Wir müssen uns so organisieren, dass wir die die Boote mit den Flüchtlingen, bereits in den libyschen Küstengewässern stoppen können. Nur so wird klar, dass es kein Durchkommen nach Mitteleuropa gibt.“

Viele Herkunftsstaaten bekommen ja Geld von der EU. Wir sollten von diesen Ländern verlangen, dass sie illegale Migranten zurücknehmen, und unsere Zahlungen an diese Länder als Druckmittel einsetzen. Würden wir das tun, dann würden viele dieser Länder wahrscheinlich sehr schnell einlenken.

Sebastian Kurz

50 Prozent der Migranten des letzten Jahres kamen aus Ländern, „in denen es keinen anerkannten Fluchtgrund gibt“, erinnert Kurz. Und auch in jenen Ländern, in denen es Fluchtgründe gebe, gebe es zugleich auch sichere Gebiete: „Die internationale Gemeinschaft sollte darauf hinarbeiten, dass es in diesen Staaten sichere Schutzzonen gibt. Diese Idee gibt es etwa für Syrien. Wer zurückgebracht wird, soll aber eine Starthilfe für sein Leben vor Ort erhalten.“ Kurz rät der EU außerdem, notfalls Druck etwa auf afrikanische Herkunftsländer auszuüben: „Viele dieser Staaten bekommen ja Geld von der EU. Wir sollten von diesen Ländern verlangen, dass sie illegale Migranten zurücknehmen, und unsere Zahlungen an diese Länder als Druckmittel einsetzen. Würden wir das tun, dann würden viele dieser Länder wahrscheinlich sehr schnell einlenken.“

Gefährliche Abhängigkeit von der Türkei

Wenn eine Kooperation mit den Herkunftsländern oder einem Transitland wie Libyen dennoch nicht möglich ist, „dann müssen die Menschen in einem Asylzentrum untergebracht und versorgt werden, idealerweise auf  einer Insel. Von dort muss dann ihre Rückkehr organisiert und finanziell unterstützt werden.“ Eine solche Insel könnte Lesbos sein, meint Kurz: „Wer auf einer Insel wie Lesbos bleiben muss, und keine Chance auf Asyl hat, wird eher bereit sein, freiwillig zurückzukehren, als jemand, der schon eine Wohnung in Wien oder Berlin hat.“

Plan A muss ein starkes Europa sein, das im Stande ist, seine Grenzen selbst zu schützen und selbst zu entscheiden, wer nach Europa kommen kann und wer nicht. Diese Entscheidung darf weder an die Türkei noch an die Schlepper delegiert werden.

Sebastian Kurz

Das übergeordnete politische Ziel ist für Kurz, dass die Europäer die Hoheit über die Zuwanderung nach Europa zurückgewinnen: „Plan A muss ein starkes Europa sein, das im Stande ist, seine Grenzen selbst zu schützen und selbst zu entscheiden, wer nach Europa kommen kann und wer nicht. Diese Entscheidung darf weder an die Türkei noch an die Schlepper delegiert werden.“ Der Vertrag mit der Türkei möge derzeit nützlich erscheinen, aber „die Türkei kann die Kooperation jederzeit aufkündigen“, warnt Kurz und fügt hinzu: „Wenn wir uns auf die Türkei verlassen, begeben wir uns in eine gefährlich Abhängigkeit.“