Noch immer ist der Genozid an den Armeniern ein Thema, das die Türkei gerne totschweigen würde. (Bild: Fotolia, Rawpixel.)
Berg-Karabach

Neue Kämpfe im Kaukasus

Trotz der von Aserbaidschan ausgerufenen Feuerpause im Konfliktgebiet Berg-Karabach dauern die Kämpfe in der Südkaukasusregion an. Es soll mindestens 30 Tote gegeben haben. Der eingefrorene Konflikt flammt seit einem Krieg 1992 und der Waffenruhe 1994 immer wieder auf. Beide Länder erheben Anspruch auf die damals von Armenien eroberte Enklave Berg-Karabach.

Trotz der von Aserbaidschan ausgerufenen Feuerpause im Konfliktgebiet Berg-Karabach dauern die Kämpfe in der Südkaukasusregion an. Bei Gefechten mit armenischen Truppen seien innerhalb von 24 Stunden drei aserbaidschanische Soldaten getötet worden, teilte das Verteidigungsministerium in Baku mit.

Die Kämpfe in dem Jahrzehnte alten Konflikt zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken waren am Wochenende neu aufgeflammt. Dabei waren insgesamt mindestens 30 Soldaten getötet worden. Die Führungen in Eriwan und Baku machen sich gegenseitig verantwortlich. Aserbaidschan wirft Armenien vor, die Region Berg-Karabach seit einem Krieg Anfang der 1990er Jahre besetzt zu halten und sieht darin einen Völkerrechtsbruch. Die überwiegend von Armeniern besetzte Region hatte sich damals von der Führung in Baku unabhängig erklärt. Seit 1994 gilt ein Waffenstillstand, der aber immer wieder gebrochen wird. Seit etwa zwei Jahren häuften sich die gewaltsamen Zwischenfälle in der Region wieder. Friedensverhandlungen unter Vermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stocken seit Jahren. Für diesen Dienstag ist ein Krisentreffen in Wien geplant.

Mindestens 30 Tote

In der schwersten Gewalteskalation seit Jahren in der Südkaukasusregion Berg-Karabach mit mindestens 30 Toten hatte Aserbaidschan am Sonntag einseitig eine Feuerpause erklärt. Sollte es allerdings „Provokationen von der armenischen Seite“ geben, werde Aserbaidschan eine „harte Antwort“ liefern und seine Offensive fortsetzen. Der autoritäre aserbaidschanische Staatschef Ilham Aliyev sprach sich für eine friedliche Lösung aus, warf Armenien aber vor, Berg-Karabach völkerrechtswidrig zu besetzen. Baku beschuldigte Eriwan, Siedlungen mit schweren Waffen zuerst angegriffen zu haben. Zwei Zivilisten sollen getötet worden sein. Die Armee habe einige strategisch wichtige Punkte besetzt, teilte das Verteidigungsministerium mit. In den letzten Jahren rüstete das ölreiche Aserbaidschan mit den Einnahmen aus dem Ölverkauf stark auf, pikanterweise hauptsächlich mit russischen Waffen. Auch Armenien erhielt russische Waffen. Laut dem letzten Bericht des Stockholmer internationalen Friedensforschungsinstituts sind die aserbaidschanischen Waffenimporte in den letzten fünf Jahren um 217 Prozent gestiegen. Die internationalen Öl- und Gasunternehmen, die in Aserbaidschan investiert haben, sehen die Kämpfe jedoch als Gefahr. Dies könnte den Druck auf Aserbaidschan erhöhen, eine friedliche Lösung anzustreben.

Das armenische Verteidigungsministerium sprach von einer Offensive Aserbaidschans mit Panzern, Artillerie und Luftwaffe. Die Streitkräfte hätten jedoch einen aserbaidschanischen Kampfhubschrauber vom Typ Mi-24 abgeschossen und mehrere Panzer und Drohnen im südlichen Teil der Demarkationslinie zerstört. Die Behörden in Berg-Karabach berichteten zudem von zwei getöteten Kindern. „Das sind die schwersten Kämpfe seit dem Beginn der Waffenruhe 1994“, sagte der armenische Präsident Sersch Sargsjan.

Ein eingefrorener Konflikt

Seit der Unabhängigkeitserklärung beider Länder 1918 kam es wiederholt zu Demonstrationen und Spannungen um Berg-Karabach, sogar in der Sowjetzeit. In mehreren Abstimmungen wurde der Anschluss an Armenien gefordert. Das überwiegend von christlichen Armeniern bewohnte Gebiet Berg-Karabach gehört völkerrechtlich zum muslimisch geprägten Aserbaidschan, das wiederum mit Nachitschewan eine Enklave in Armenien hat. Anfang der 1990er Jahre sagten sich die Berg-Karabacher nach gegenseitigen Pogromen, Massakern und Vertreibungen sowie einem Krieg mit fast 30.000 Toten von Baku los. Die Armenier eroberten die Enklave sowie eine Landverbindung dorthin und einige Bezirke Aserbaidschans. Eine seit 1994 geltende Waffenruhe ist seit Jahren brüchig. Die Führung in Baku hat mehrfach gedroht, das abtrünnige Gebiet zurückzuerobern.

Aserbaidschan hatte als Verbündeten immer die Türkei, während Russland Armenien unterstützte. Die Türkei hat obendrein wegen des bis heute geleugneten Völkermordes an Armeniern 1915 ein schlechtes Verhältnis zu dem Land. Wegen des derzeitigen Konflikts nach einem Flugzeugabschuss zwischen der Türkei und Russland vermuten manche Kommentatoren deshalb in den neuen Kämpfen einen Stellvertreterkrieg der beiden großmachtsüchtigen Autokraten Erdogan und Putin. Der russische Präsident Wladimir Putin mahnte jedenfalls Armenien und Aserbaidschan zur Ruhe. Russland sieht sich als Schutzmacht Armeniens und hat Tausende Soldaten in dem Land mit rund drei Millionen Einwohnern stationiert. Erdogan versprach dagegen Aserbaidschan seine Unterstützung „bis zum Ende“. Offenbar haben beide Schutzmächte jedoch weniger Einfluss auf ihre Partner als angenommen.

Die Welt in Sorge

Die Kämpfe in der ohnehin explosiven Kaukasusregion lösten international große Sorge aus. Außenminister Frank-Walter Steinmeier schaltete sich ein und telefonierte mit seinen Amtskollegen in Armenien und Aserbaidschan. Er rief beide Seiten auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. „In diesem Konflikt kann es keine militärische Lösung geben“, mahnte er. Deutschland hat seit Anfang Januar den OSZE-Vorsitz inne. Der Minsk-Gruppe gehören unter anderem Russland, die USA, Frankreich, Deutschland und die Türkei an.

UN-Chef Ban Ki Moon und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini verlangten ein sofortiges Ende der Kämpfe. Auch US-Außenminister John Kerry verurteilte den Konflikt „auf das Schärfste“.

Die US-Regierung hat die neue Gewalt im Südkaukasus aufs Schärfste verurteilt. In Berg-Karabach müssten sich beide Seiten zurückhalten und die 1994 vereinbarte Waffenruhe respektieren, heißt es in einer Mitteilung von Außenminister John Kerry weiter.