Immer mehr Asylentscheidungen belasten die Verwaltungsgerichte. (Foto: dpa/Friso Gentsch)
Justiz

Gerichte vor dem Kollaps

Die hohe Zahl von Klagen durch abgelehnte Asylbewerber stellt die deutschen Verwaltungsgerichte vor eine kaum noch lösbare Aufgabe. An einzelnen Gerichten hat sich die Zahl der Verfahren binnen weniger Jahre verzehnfacht.

Massenhafte Klagen von abgelehnten Asylsuchender überlasten die deutschen Verwaltungsgerichte. Die Lage sei „dramatisch“, sagte jetzt Robert Seegmüller, Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Wir stoßen derzeit komplett an unsere Grenzen.“  Derzeit seien gut 250.000 Gerichtsverfahren anhängig, berichtet das RND. „Eine derartige Zahl an Verfahren kann die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Dauer nicht aushalten. Irgendwann bricht dann alles zusammen“, klagt Seegmüller. Das sei wie bei einem Motor, der in den roten Bereich gefahren werde. „Eine Zeit lang geht es gut, aber nicht dauerhaft.“

Richter und Personal fehlen

Der Blick nach Bayern zeigt, wie dramatisch sich die Belastung der Gerichte erhöht hat: An den sechs bayerischen Verwaltungsgerichten liefen allein im ersten Halbjahr mehr als 37.000 Verfahren auf. 2013 waren es im ganzen Jahr noch weniger als 5000. In München fiel die Zunahme der Klagen besonders drastisch aus: Mehr als 16.000 Verfahren musste hier die Justiz in den ersten sechs Monaten bewältigen. Das sind mehr als zehn Mal so viele wie noch im gesamten Jahr 2013.

Die Konsequenzen sind unmittelbar zu spüren: Es fehlten Richter und Personal, teilweise aber auch Räume und IT-Kapazitäten, kritisiert Verwaltungsjurist Seegmüller. „Die Justizverwaltungen sind zwar gewillt, aufzustocken, aber sie finden das dringend benötigte Personal immer schwerer.“

Einige Länder hätten aber bereits mit Neueinstellungen von Richtern reagiert. Seegmüller hebt Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg  und Bayern als positive Beispiele hervor. So wurden im Freistaat für das vergangene Jahr 26 neue Richterstellen an den Verwaltungsgerichten geschaffen.

Viele Syrer klagen

Neben den hohen Flüchtlingszahlen beschert auch eine veränderte Entscheidungspraxis im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Verwaltungsgerichten viele neue Fälle. Syrienflüchtlinge erhalten häufig nicht mehr die volle Anerkennung als Asylberechtigte, sondern nur noch einen „subsidiären Schutz“, etwa weil ihr Leben durch einen bewaffneten Konflikt im Heimatland bedroht ist. Dies bedeutet, dass nur eine Aufenthaltsberechtigung von einem statt drei Jahren erteilt wird. Zudem ist für zwei Jahre die Möglichkeit des Familiennachzugs ausgesetzt. Im Jahr 2015 hatten Syrer praktisch automatisch den vollen Flüchtlingsstatus bekommen.

Asylbewerber, die einen ablehnenden Bescheid des BAMF oder den subsidiären Schutz nicht akzeptieren wollen, landen automatisch vor dem Verwaltungsgericht. 52 dieser Gerichte gibt es in Deutschland, fast alle sind sie inzwischen zu Asylgerichten geworden. An einigen Gerichten mache der Anteil der Asylverfahren inzwischen etwa 80 Prozent der eingehenden Klagen aus, berichtet Seegmüller.

Wenn Ausländer nach entsprechenden Urteilen nicht konsequent abgeschoben werden, verlieren der deutsche Staat und seine Justiz massiv an Autorität.

Robert Seegmüller, Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter

Neben mehr Personal für die Justiz sieht Seegmüller auch Möglichkeiten, das System der Entscheidungen zu verbessern. Als ein Beispiel nennt er die Dublin-Entscheidungen. Darin geht es um die Frage, ob ein Asylbewerber in das Land zurückschickt wird, in dem er zuerst europäischen Boden betreten hat, und ob er dort ein ordentliches Verfahren erwarten kann. Bisher entscheide darüber jedes Verwaltungsgericht für sich. „Das ist eine wahnsinnige Verschwendung von Ressourcen“, kritisiert Seegmüller. Sinnvoller wäre es seiner Meinung nach, wenn es eine bundesweit gültige Entscheidung gäbe, die alle 52 Gerichte übernehmen könnten.

CSU kritisiert Abschiebepraxis

Und noch ein Defizit bemängelt Seegmüller: Immer noch würden ausreisepflichtige Migranten zu schleppend abgeschoben. „Wenn Ausländer nach entsprechenden Urteilen nicht konsequent abgeschoben werden, verlieren der deutsche Staat und seine Justiz massiv an Autorität“, so der Jurist.

Die niedrige Zahl der Abschiebungen, vor allem aus Bundesländern mit rot-grüner Regierungsbeteiligung, hat auch die CSU immer wieder kritisiert. So hatte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt bereits zu Jahresbeginn Sanktionen für Bundesländer gefordert, die nicht konsequent abschöben: „Denn die Abschiebepraxis von rot-grün geführten Bundesländern lässt häufig noch zu wünschen übrig.“

Aus Bayern wurden seit Anfang des Jahres bereits rund 1.600 Personen abgeschoben. Rund 6.600 Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, sind zudem wieder freiwillig ausgereist.