Türkische Fahnen auf einer Kundgebung türkischer Nationalisten in Hamburg. (Foto: Imago/Lars Berg)
Türken

In Deutschland links, zuhause religiös-konservativ

Ein Vortrag bei der Hanns-Seidel-Stiftung brachte interessante Erkenntnisse über das Wahlverhalten türkischer Migranten in Deutschland. Während bei Wahlen in der Bundesrepublik linke Parteien fast 90 Prozent der türkischen Stimmen erhalten, wählen 60 Prozent der Türken hierzulande die islamisch-konservative AKP des Autokraten Recep Erdogan.

Auf die Armenien-Resolution des deutschen Bundestags reagierte nicht nur der türkische Staatspräsident Erdogan empört. Auch viele in Deutschland lebende Türken oder türkischstämmige Bundesbürger sahen sich verunglimpft und beleidigt. Deutsche Parlamentarier wurden bedroht und von lange geplanten Treffen ausgeschlossen. Sogar der Ruf nach einer eigenen Partei für Deutschtürken wurde laut.

Vor diesem Hintergrund hatte die Hanns-Seidel-Stiftung zu einem äußerst interessanten Vortrag geladen: Das Wahlverhalten und die politischen Einstellungen der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland waren das Thema.

Das Berliner Marktforschungsinstitut Data 4U führt dazu seit einigen Jahren regelmäßige Befragungen durch und erstellt Studien. Die wichtigsten Ergebnisse daraus präsentierte Geschäftsführerin Umut Karakas jetzt in München.

Starker Anstieg türkischer Wähler

Etwa 3,2 Millionen türkischstämmige Menschen leben derzeit in Deutschland. Sie stellen damit die größte Migrantengruppe in Deutschland. Ungefähr 1,25 Millionen von ihnen besitzen derzeit das deutsche Wahlrecht. Wie Data 4U-Geschäftsführerin Umut Karakas ausführte, wird ihre Zahl in den kommenden Jahren beträchtlich wachsen. Von 2018 an werden jedes Jahr etwa 80.000 neue Wahlberechtigte hinzukommen. Im Jahr 2030 dürften ihrer Prognose nach bereits zwei Millionen Türkischstämmige in Deutschland zur Wahl gehen.

Zu einem beträchtlichen Teil machen die Türkeistämmigen von ihrem Wahlrecht Gebrauch. 83 Prozent der von Data 4U befragten gaben an, bereits mindestens einmal an einer Wahl teilgenommen zu haben. Dabei gibt es kaum Unterschiede zwischen Männern (85 Prozent) und Frauen (82 Prozent). Profitiert haben davon vor allem Parteien des linken Spektrums. So erklärten 56 Prozent der türkischstämmigen Wähler, sie hätten in der Vergangenheit für die SPD gestimmt. 29 Prozent wählten die Grünen, 12 Prozent die Linke. Auf CDU und CSU entfielen lediglich sechs Prozent der Stimmen.

Wenige Stimmen für die Union

Ähnlich fiel auch das Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl aus. Hier stimmten laut einer Data 4U-Umfrage 64 Prozent der Deutschtürken für die SPD. Auf die Grünen entfielen 12 Prozent der Stimmen, die Linke erhielt ebenfalls 12 Prozent. CDU/CSU bekamen bundesweit nur 7 Prozent der türkischen Stimmen. In Bayern wählten demnach lediglich zwei Prozent der Türkischstämmigen die CSU.

Bundesweit brachten türkische Wähler der SPD bei der Bundestagswahl 3,8 Prozent ihres gesamten Stimmenanteils. Sie verbesserten das Ergebnis der Sozialdemokraten um einen Prozentpunkt.

Data 4U Geschäftsführerin Karakas erklärte den Erfolg der SPD mit deren Image als „Arbeiterpartei“, den sie besonders unter türkischen Einwanderern der ersten Generation habe. So seien auch 30 Prozent der Türkischstämmigen in einer Gewerkschaft organisiert. „Die politische Meinung der Eltern prägt die Kinder stark“, so Karakas. Aus „Respekt vor dem Familienoberhaupt“ wählten diese häufig so wie ihr Vater.

Migrations-Themen dominieren

Als weitere Gründe für ihre Wahlentscheidung nannten die Deutschtürken in Befragungen „die Position der Parteien zur Einwanderung von Migranten allgemein“, die Haltung der Parteien zum Thema „Doppelte Staatsbürgerschaft“ sowie deren Position der Parteien zur Stellung des Islam in Deutschland. Dazu kämen hohe Erwartungen an türkischstämmige Politiker in den Parteien. Es werde erwartet, dass türkeistämmige Politiker sich deutlich mehr für die Belange der Migranten hier in Deutschland einsetzten als deutsche, erläuterte Karakas. Dazu komme die Erwartung an eine hohe Identifikation mit dem Vaterland. Aus dieser Haltung heraus, so Karakas, erkläre sich auch die Enttäuschung und Verärgerung über das Abstimmungsverhalten türkischstämmiger Politiker bei der Armenienresolution.

Ein ganz anderes Wahlverhalten legen die Türken in Deutschland an den Tag, die sich in der Türkei an Wahlen beteiligen. Bei der Parlamentswahl im vergangenen November stimmten nahezu 60 Prozent der Türken in Deutschland für die islamisch-konservative und nationalistische AKP von Präsident Erdogan. In der Türkei kam die AKP dagegen nur auf einen Stimmenanteil von knapp 50 Prozent. Selbst unter den Türkeistämmigen, die in Deutschland wählen dürfen und die in der Vergangenheit SPD gewählt haben, erklärten in einer Befragung 60 Prozent, sie würden ihre Stimme der AKP geben.

AKP hat Erfolgs-Image

Als Erklärung für dieses extrem unterschiedliche Wahlverhalten führt Karakas die unterschiedliche Bedeutung einzelner Themen an. So hätten für die Wahlentscheidung in Deutschland bislang eher Themen wie Integrations- und Sozialpolitik eine große Rolle gespielt. Dabei hätten sich die türkischen Wähler eher mit der SPD und den Grünen identifiziert.

Bei der Wahlentscheidung in der Türkei seien dagegen eher traditionelle Wertvorstellungen, der Glaube, der wirtschaftliche Erfolg sowie die Darstellung eines neuen türkischen Selbstbewusstseins dominierend. Damit brächten auch die in Deutschland lebenden Türken vor allem die AKP in Verbindung. Zudem sei die AKP in Deutschland sehr gut organisiert.

Data 4U-Geschäftsführerin Karakas prognostizierte dann auch verstärktes Werben um die Stimmen der Türkischstämmigen in Deutschland. Schon jetzt besäßen viele Auslandstürken ohne türkische Staatsbürgerschaft die sogenannte „Blaue Karte“, die ihnen in der Türkei wesentliche Rechte wie Erbrecht, Aufenthaltsrecht, Arbeitserlaubnis und Grundbesitz gewähre. Karakas zeigte sich überzeugt, dass zu diesen Rechten schon bald das Wahlrecht in der Türkei hinzukommen werde.