„Gefährlicher Unsinn“
Die EU-Kommission will das Dublin-Abkommen reformieren. Nicht mehr nur Erstaufnahmeländer sollen für Asylverfahren zuständig sein, sondern auch EU-Länder, in denen schon Verwandte von Asylbewerbern leben. Die Bundesregierung ist alarmiert.
Dublin-Reform

„Gefährlicher Unsinn“

Die EU-Kommission will das Dublin-Abkommen reformieren. Nicht mehr nur Erstaufnahmeländer sollen für Asylverfahren zuständig sein, sondern auch EU-Länder, in denen schon Verwandte von Asylbewerbern leben. Die Bundesregierung ist alarmiert.

Es ist ein heißes Thema. Noch regelt das 1990 unterzeichnete und 1997 in Kraft getretene Dubliner Übereinkommen, in welchem EU-Mitgliedsland Asylanträge bearbeitet werden: im ersten Ankunftsland. Dort müssen auch die Identitäten festgestellt – und festgehalten – werden, samt Fingerabdrücken. Wenn es nach dem Willen der EU-Kommission geht, soll das jetzt anders werden.

Keine konsequente Identitätsfeststellung

Denn angesichts der aktuellen Migrationsrouten über die Ägäis oder von Nordafrika nach Italien bürdet die Dublin-Reglung von 1990 heute etwa Griechenland und Italien große Lasten auf. Was wiederum der Grund dafür ist, dass eben Griechenland und Italien bei den Migranten noch immer nicht auf Identitätsfeststellung mit Fingerabdruck insistieren und sie gerne ziehen lassen.

62 Prozent der 2017 überprüften Migranten in Calais hatte sich geweigert, ihre Fingerabdrücke abzugeben.

Le Figaro

Sichtbar wird das EU-Problem mit dem Dublin-Abkommen, wenn etwa Frankreich allein in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres 34.523 Dublin-Verfahren einleitete, also Rückverschickungen in das Erstankunftsland – meist über die Grenze nach Italien. Das berichtet die Pariser Tageszeitung nach Le Figaro. In Calais, so das Blatt, wurde bei der Überprüfung des Dublin-Status von 5676 Migranten festgestellt, dass sich 62 Prozent von ihnen geweigert hatten, ihre Fingerabdrücke nehmen zu lassen. Um nicht so ohne weiteres in das Erstankunftsland zurück geschickt werden zu können.

Dublin-Reform

Eine chaotische, verfahrene Situation, die die EU-kommission jetzt zum Vorhaben einer Dublin-Reform geführt hat. Bis Ende Juni soll ein neues EU-Asylsystem verabschiedet sein. Der zuständigen Ausschuss des Europaparlaments hat nun einen entsprechenden Parlamentsvorschlag beschlossen.

Den Plänen von Kommission und Parlament zufolge sollen künftig Asylbewerber nach Quoten über die EU-Mitgliedsländer verteilt werden. Außerdem soll nicht mehr nur das Erstaufnahmeland für das Asylverfahren zuständig sein, sondern womöglich jenes EU-Land, in dem schon Angehörige des Asylbewerbers leben. Was automatisch sehr viele Neu-Asylanten in die EU-Länder führen würde, die schon sehr viele Asylbewerber aufgenommen haben – Deutschland, Österreich, Schweden.

Bundesregierung alarmiert

Die Aussicht alarmiert jetzt die Bundesregierung und dort vor allem das Bundesinnenministerium. Das Wochenmagazin Der Spiegel zitierte dazu kürzlich den CDU-Staatssekretär im Bundesinnenministerium Ole Schröder: „Wenn jeder der über 1,4 Millionen Menschen, die seit 2015 in Deutschland Asyl beantragt haben, zur Ankerperson für neu in der EU ankommende Schutzsuchende wird, reden wir über ganz andere Größenordnungen als bei der Familienzusammenführung.“

Dann reden wir über ganz andere Größenordnungen als bei der Familienzusammenführung.

Ole Schröder, CDU-Staatssekretär im Bundesinnenministerium

In einem Brief an die EVP-Fraktion im Europaparlament warnen denn auch Bundestagsabgeordnete von CDU und CSU: „Die Verhandlungen zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem dürfen auf keinen Fall dazu führen, dass die ohnehin schon asymmetrische Lastenteilung weiter verschärft wird.“

Weniger Zuwanderung nach Deutschland

Ein Missverständnis, beruhigt in Straßburg EVP-Fraktionschef und CSU-Vize Manfred Weber: „Für die EVP-Fraktion ist klar, dass die Neureglung der Dublin-Verordnung zu weniger Zuwanderung nach Deutschland und Europa führen muss.“ Auch der Familiennachzug dürfe „nur im Rahmen der Quote und nationalen Festlegungen stattfinden“. Weber weiter: „Was nicht passieren darf ist, dass eine Familienzusammenführung von Flüchtlingen, die schon in Europa sind, nach persönlichen Vorlieben funktioniert. Das wäre unsolidarisch und zu Lasten weniger Staaten.“

Teil des vom Europaparlament vorgelegten Konzeptes sei, „dass wenn ein Land wie Deutschland seine Quote bereits erfüllt hat, es keine neuen Asylbewerber mehr aufnehmen muss“, betont im Gespräch mit der Tageszeitung Die Welt auch die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier. Es könnten dann sogar Flüchtlinge aus Deutschland auf andere EU-Staaten umverteilt werden. Hohlmeier: „Eine Familienzusammenführung, die die Quote eines Landes sprengt, soll es nicht geben.“

Enger Familienbegriff

Nach den Vorstellungen des Europaparlaments solle die Familienzusammenführung auch „nicht für Wirtschaftsmigranten und nicht für Sicherheitsgefährder“ gelten und „nur für Familienmitglieder, die sich bereits auf dem Territorium der EU befinden. Hohlmeier: „Es geht also nicht um Familiennachzug aus Syrien.“ Denn beim Familiennachzug aus Drittstaaten sei die rechtliche Regelung der EU sehr eng und gelte ausschließlich für Flüchtlinge nach der Genfer Konvention – „darunter fallen keine Bürgerkriegsflüchtlinge“.

Das wäre Anreiz, ganze Clans illegal nach Europa zu bringen.

Monika Hohlmeier, CSU-Europaabgeordnete

CDU und CSU treten in Straßburg zudem für einen sehr engen Familienbegriff ein, betont Hohlmeier: Es sollen „auch weiterhin nur Eltern und ledige, minderjährige Kinder als Familie gelten“. Problem: SPD, Linke und Grüne haben im Europaparlamentsausschuss mit Mehrheit einen sehr viel weiteren Familienbegriff beschlossen, der auch erwachsene und verheiratete Geschwister einschließt. Hohlmeier: „Das wäre Anreiz, ganze Clans illegal nach Europa zu bringen.“ Doch dabei wird es nicht bleiben, meint die oberfränkische Europaabgeordnete: „Dieser gefährliche Unsinn wird so nicht zum Gesetz werden, da bin ich zuversichtlich.“